Rassistisch und populistisch: Der Diskurs über Asyl, Flucht und „irreguläre“ Migration

Populistisch und Rassistisch

Der derzeitige Diskurs über Migration (Remigration), Geflüchtete1 und Asyl ist rassistisch. Die Forderungen nach Obergrenzen für Geflüchtete oder das Aussetzen des Asylrechts ist nichts weiter als reiner Populismus. Das Thema Asyl und Flucht wird absichtlich mit Innerer Sicherheit vermischt, indem „irreguläre“ oder „illegale“ Migration als eine Bedrohung dargestellt werden. „Irreguläre“ oder „illegale“ Migration ist aber keine Bedrohung, sondern ein legitimer Weg der Einreise, um einen Asylantrag zu stellen. Diskussionen über eine Bedrohung durch „irreguläre“ Migration ist populistisch. Von Diskussionen über Bezahlkarten, und Wartezeiten beim Zahnarzt etc. ganz zu schweigen. Außerdem zeigt die gleichzeitige Debatte über benötigte und gut ausgebildete Fachkräfte2, dass der deutsche Staat und seine Wirtschaft Migrant:innen3 nach ihrer Nützlichkeit und ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit einteilen: Der „gut ausgebildete Migrant“/ die „ausländische Fachkraft“ wird benötigt und ist notwendig für die Wirtschaft und der „irregulär geflüchtete Migrant“4 ist eine Bedrohung für die Sicherheit und eine Belastung für die Sozialsysteme.

Rechtliche Lage

Das Recht auf Asyl ist im §16a Grundgesetz verankert. Durch den „Asylkompromiss“ von 1993 wurde die Möglichkeit auf Asyl im deutschen Recht jedoch ausgehöhlt. Dank des Asylkompromisses sollte niemand, der sich vorher in einem „sicheren Drittstaat“ aufgehalten hat, Asyl-Anspruch erheben können. Da Deutschland umgeben von solchen Staaten ist, besteht diese Möglichkeit also bei einer Einreise auf dem Landweg de facto nicht mehr. Um den Asylkompromiss entsprechend radikal zu verändern, mussten weitere Paragraphen in das Grundgesetz aufgenommen werden. Das war nur möglich, weil die oppositionelle SPD der CDU/CSU-FDP Koalition entgegengekommen ist. Die deutsche Politik hat also bereits alles getan, um nach deutschem Recht Asyl einzuschränken – quasi abzuschaffen. Betrachtet man die Debatte damals und heute, trifft der Begriff Asylkonsens wohl eher, als Asylkompromiss. Die Konsequenz: 2024 wurden gerade 0,63% aller Anträge auf Asyl nach §16a GG positiv entschieden5.

Dank der Genfer Flüchtlingskonventionen und EU-Recht ist es dennoch möglich in Deutschland Asyl zu beantragen bzw. als Geflüchteter anerkannt zu werden. Die Genfer Flüchtlingskonvention ist sowohl im deutschen Recht (§3 des Asylrechts) und der EU-Charta der Grundrechte (Artikel 18) festgeschrieben6.

Die europäischen Regelungen seien im Vergleich zur Auslegung des deutschen Asylgrundrechts sogar umfassender. So werde beispielsweise auch Schutz vor nichtstaatlicher Verfolgung gewährt, wenn etwa Frauen vor geschlechtsspezifischer Verfolgung fliehen – also Zwangsverheiratung oder Genitalverstümmelung. Auch der Schutz verfolgter Homosexueller sei durch das EU-Recht verbessert worden7.

Wenn Friedrich Merz das Asylrecht in Frage stellt8 und Markus Söder das „individuelle Recht auf Asyl“ gleich ganz abschaffen will9, sollten die beiden Juristen und Politiker es eigentlich besser wissen, denn: Eine Abschaffung des Rechts auf Asyl ist kompliziert. Sie würde eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat benötigen. Um das Recht auf Asyl in Deutschland wirklich und absolut abzuschaffen, müsste Deutschland aus der Genfer Konvention und der EU austreten und anschließend entsprechende Gesetze in Deutschland ändern10. Die Forderungen von Söder und Merz sind also nichts weiter als reiner Populismus.

Irreguläre Migration

„Irregulär“ oder „illegal“ klingt gefährlich und angsteinflößend. Es zeichnet ein Bild des gefährlichen Migranten, ein Bild, das die AfD bereits vor dem Aufkommen des Begriffes geprägt hat, wenn sie von „alimentierten Messermännern“11 spricht. Der Begriff „irreguläre Migration“ taucht in einem Papier der AfD zur Flüchtlingspolitik 2017 zum ersten Male prominent im Diskurs auf12. Nun wird bereits seit längerer Zeit die Debatte über Flucht, Asyl und der Bedrohung von Migrant:innen und der Inneren Sicherheit vermischt. Ein Beschluss der CDU/CSU Fraktion beispielsweise trägt den Titel: „Bereit für Verantwortung: Irreguläre Migration beenden. Innere Sicherheit wiederherstellen.“ Prominente Punkte sind u.a. die Aufnahme von Syrern und Afghanen stoppen, Grenzkontrollen ausweiten und für Sicherheit sorgen13. Aber auch die SPD Innenministerin Nancy Faeser vermischt die Debatten: „Wir wollen die irreguläre Migration weiter zurückdrängen, Schleuser stoppen, Kriminellen das Handwerk legen und Islamisten frühzeitig erkennen und aufhalten.“14 Dass die Politker:innen „irreguläre Migration“ behandeln, als sei es ein Kapitalverbrechen oder eine Bedrohung für unsere Sicherheit ist überflüssig, falsch und reiner Populismus.

Wie soll ein Geflüchteter denn bitte legal nach Deutschland einreisen, wenn durch den Asylkompromiss alle legalen Einreisemöglichkeiten illegal sind? Die Asylkompromiss-Parteien CDU/CSU, FDP und SPD haben das Recht auf Asyl nach deutschem Recht 1993 quasi abgeschafft und das Problem der „irregulären Migration“ für Geflüchtete erst geschaffen. Die Parteien wissen aber auch, dass es dennoch möglich ist, Asyl in Deutschland, basierend auf der Genfer Flüchtlingskonvention und des EU-Rechts, zu erhalten. Ein Geflüchteter hat also ein Recht darauf, egal wie eingereist, einen Antrag auf Asyl zu stellen15. Die Aussicht dann einen Schutzsstatus zu erhalten ist sogar gut. Es ist somit eine populistische Farce, dass sich dieselben Parteien nun über die selbst zu verantwortende „illegale Migration“ beschweren und das Asylrecht nun auf europäischer Ebene radikal verändern wollen16. Diese Parteien wissen aber genau was sie tun. Sie haben die Inhalte der AfD aufgenommen, um die Wähler:innen zurückzugewinnen.

Die bürgerlichen Parteien haben mit „irregulärer Migration“ den Begriff aufgenommen, den die AfD ins Spiel gebracht hat. Ansonsten nutzen die Parteien der „Mitte“ eine bürgerlichere, eine harmlosere Rhetorik als die AfD. In der Konsequenz verschärfen sie damit die Debatte und Gesetzgebung (Stichwort GEAS: Gemeinschaftliches Europäisches Asylsystem). Am Ende gewinnt aber nur die AfD, denn die Wähler:innen wählen lieber das Original. Das ist aus der Sicht der AfD-Wähleri:innen auch logisch und nur konsequent. Die Wahl der oppositionellen AfD funktioniert, ihre Inhalte werden umgesetzt. Um sicher zu gehen, dass es so bleibt, wird die AfD weiter gewählt. Die AfD treibt die Parteien der Mitte vor sich her. Was dabei auf der Strecke bleibt, sind die Geflüchteten, denn eine „irreguläre und illegale Migration“ für Geflüchtete ist legitim.

Fakten und Zahlen

Schaut man sich die Zahlen zu den Asylanträgen an, werden drei Dinge deutlich17:

  • Die allermeisten Anträge kommen aus dem von Taliban regierten Afghanistan und dem Bürgerkriegsland Syrien (Diagramm 1 – „Asylanträge“)
  • Die Schutzquote dieser Asylanträge ist ausgesprochen hoch.
  • Die Anträge werden anhand der Genfer Flüchtlingskonvention und dem EU-Recht entschieden, nicht nach dem Recht auf Asyl im Grundgesetz.

Asylanträge – hohe Anzahl an Anträgen aus Syrien und Afghanistan – hohe Schutzquote.
Zwischen Januar und bis einschließlich September 2024 wurden 228.834 Asylanträge entschieden. 46,3 % davon wurden positiv entschieden (man spricht von einer Schutzquote von 46,3%). Deutlich höher ist die Schutzquote bei Anträgen aus Syrien (84%) und Afghanistan (76%).

Anzahl Asylanträge pro Land18

Anerkennung von Asylanträgen nach welchem Recht?
Lediglich 13% der Asylanträge wurden positiv entschieden und Antragsteller:innen haben Schutz durch die Anerkennung als „Flüchtling“ nach deutschem Recht (nach § 3 Abs. 1 AsylG) und den Asyl-Status (Art. 16a GG) erhalten. Die absolute Mehrheit dieser Anträge wurde jedoch nach der Genfer Flüchtlingskonvention entschieden und lediglich 5% der positiv entschiedenen Asylanträge wurden anhand des Art. 16a GG und deutschen AsylG entschieden. Setzt man diese 1.436 Anerkennungen in das Verhältnis aller abgegeben Anträge entspricht das sogar nur 0,63%. Anders ausgedrückt:
Diese Zahlen zeigen eindrücklich, dass dank des Asylkompromisses von 1993 das Recht auf Asyl nach deutschem Recht fundamental ausgehöhlt – faktisch abgeschafft – wurde. Ein Teil des Abschiebekompromisses ist auch in den 25% „formale Entscheidung“ zu sehen. Damit sind u.a. Fälle gemeint, für die sich das Bundesamt für Migration nicht verantwortlich fühlt und die Anträge an einen Drittstaat verweist.

„Subsidiärer Schutz“ wurde 26% der Geflüchteten gewährt. Es handelt sich dabei um „eine Schutzform, die durch ein Asylverfahren gewährt werden kann, wenn Asylbewerber die Voraussetzungen für (…) Asylberechtigung nach dem Grundgesetz bzw. Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention – nicht erfüllen, ihnen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland aber Todesstrafe, Folter oder unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohen. Die Gefahr kann zudem auch von willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts ausgehen.19 Dieser Schutz steht vor allem Geflüchteten aus Syrien zu, 94% der positiven Anträge werden aufgrund des „Subsidiären Schutz“ positiv entschieden.

Für 7% der Anträge wird ein „Abschiebeverbot“ ernannt. Abschiebeverbot „gelten, wenn mit der Abschiebung eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschrechte und Grundfreiheiten verbunden wäre oder eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit vorliegt. Beispiele hierfür sind schwerwiegende Krankheiten oder eine unzureichende Versorgung.20 Das betrifft besonders Afghaninnen und Afghanen, 82% der positiven Entscheidungen basieren auf einem Abschiebeverbot.

Art der Entscheidung über Asylanträge21

Diese Zahlen veranschaulichen somit auch, dass innerdeutsche Diskussionen über Obergrenzen und der Aussetzung des Asylrechts gar keinen Sinn ergeben, da nicht-deutsches Recht greift. Die hohe Anzahl an positiven Entscheidungen aus Syrien und Afghanistan zeigt zudem, dass eine absolute Legitimität dieser Anträge besteht – absolut nachvollziehbar aufgrund der politischen Situationen vor Ort.

FAZIT

Der derzeitige Diskurs über Migration (Remigration), Geflüchtete und Asyl ist populistisch und rassistisch.

Die allergrößte Mehrheit der Anträge aus Syrien und Afghanistan wird Recht gegeben. Die Anträge werden basierend auf internationalem Recht positiv entschieden, nicht nach deutschem Recht. Deutschland hat bereits 1993 alles in seiner Macht stehende getan, um das Asylrecht auszuhöhlen. Dadurch ist es nicht anders möglich, als „irregulär“ oder „illegal“ als Geflüchteter nach Deutschland einzureisen und hier einen Antrag zu stellen. Eine Diskussion über Obergrenzen oder ein Aussetzen des Asylrechts und eine Vermischung über innere Sicherheit und „irreguläre Migration“ sind blanker Hohn und nichts weiter als reiner und rechter Populismus.

Der rechtliche Rahmen, in der sich die Gemengelage abspielt, ist den Politikern bewusst. Deswegen haben sie bereits auf europäischer Ebene eine weitere radikale Beschneidung des Asylrechts verabschiedet, das „Gemeinsame Europäische Asylrechtsystem“. Das Gesetz wurde im April vom EU Parlament verabschiedet und muss binnen eines Jahres in nationales Recht umgesetzt werden.

Die bürgerlichen Parteien lassen sich von den Wahlerfolgen der AfD vor sich hertreiben und setzen die rechte Politik der AfD um.

Über die Fluchtursachen und die eigentlichen Probleme wird nicht gesprochen und kommen im Diskurs nicht vor. Hunderte Menschen sterben derweil auf dem Weg in die EU.

  1. Wir nutzen den Begriff „Flüchtling“ nur in direkten oder indirekten Zitaten. Wir nutzen die Begriffe „Geflüchtete, Migrant:innen. Wir sehen den Begriff „Flüchtling“ kritisch, da er nach einer Verniedlichung klingt. ↩︎
  2. Abkommen über Fachkräfte, Fachkräfte Ausbildung und vereinfachten Visaprozessen mit Kamerun, Indien, Brasilien und weiteren ↩︎
  3. Nicht nur Migrant:innen ↩︎
  4. Alternativ in der Debatte auch: „zu viele Flüchtlinge“, „Geflüchtete ohne „berechtigten“ Grund hier zu sein“ ↩︎
  5. Zahlen, 2024: Januar – September https://www.bamf.de ↩︎
  6. Bzw. einen allgemeinen Schutzstatus zu erhalten (Subsidiären Schutz oder Schutz vor Abschiebung) ↩︎
  7. Vgl. Tagesschau. https://www.tagesschau.de/faktenfinder/asylrecht-weltweit-101.html ↩︎
  8. Siehe 4. Aussage hat Merz später relativiert. Dennoch wurde die Bemerkung getätigt und fand mediale Resonanz ↩︎
  9. https://www.welt.de/politik/deutschland/article249892608/Grundrecht-auf-Asyl-Markus-Soeder-will-weg-vom-individuellen-Recht.html ↩︎
  10. https://mediendienst-integration.de/artikel/kann-deutschland-das-individuelle-asylrecht-aussetzen.html ↩︎
  11. Alice Weigel: Rede im Bundestag am 17.05.2018 ↩︎
  12. Vgl: Begriff „irreguläre Migration“ wird in internationalen Organisationen bereits länger genutzt, das Aufkommen des Begriffs in Deutschland ist verhältnismäßig neu. ↩︎
  13. https://www.cducsu.de/themen/bereit-fuer-verantwortung-wir-wissen-was-wir-zu-tun-haben ↩︎
  14. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/10/ji-rat.html ↩︎
  15. An der Grenze reicht es sogar ein Asylgesuch anzukündigen. Der Antrag muss dann folgen. ↩︎
  16. GEAS: Gemeinsames Europäisches Asyl System – verabschiedet im EU Parlament im Mai 2024 ↩︎
  17. https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Statistik/AsylinZahlen/aktuelle-zahlen-september-2024.pdf?__blob=publicationFile&v=2#page=14&zoom=123,-32,589 ↩︎
  18. Zahlen der 10 Ländern mit den meisten Anträgen. – Nr. 10 Auf der Liste sind Geflüchtete aus Guinea mit ca. 2.600 Anträgen im Zeitraum ↩︎
  19. https://www.integrationsbeauftragte.de/ib-de/ich-moechte-mehr-wissen-ueber/flucht-und-asyl/formen-des-fluechtlingsschutzes-1865022 ↩︎
  20. Siehe Punkt 8 ↩︎
  21. Bei formellen Entscheidungen handelt es sich um Asylanträge, die das BAMF nicht inhaltlich bearbeitet, weil sich die Fälle bereits anderweitig erledigen – etwa, weil ein Asylantrag zurückgezogen wird oder ein anderes EU-Mitgliedsland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist (siehe Dublin-Verfahren). (BZPB) ↩︎
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