Gesellschaftlicher Rechtsruck und die „Mitte“

Seit der globalen Finanzkrise 2007/08 erleben wir einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Rechtsruck – nicht nur in Randbewegungen, sondern im Herzen der Gesellschaft. Was einst von offen rechtsextremen Kräften vertreten wurde, ist heute bis weit in die politische Mitte vorgedrungen. In CDU und SPD, aber auch Teilen der Grünen und FDP, werden Inhalte diskutiert und politische Entscheidungen getroffen, die auf Ausgrenzung, Abschottung und autoritäre Kontrolle setzen. Gleichzeitig feiern extrem rechte Bewegungen wie die AfD oder Gruppierungen wie „Gemeinsam für Deutschland“ Erfolge – nicht trotz, sondern wegen dieses gesellschaftlichen Klimas.
Die politische Mitte – Kein Bollwerk der Demokratie, sondern Teil des Problems
Die sogenannte politische Mitte wird in der Öffentlichkeit oft als Garant für Stabilität, Ausgleich und demokratische Vernunft dargestellt. Doch ein genauer Blick zeigt: Die Mitte ist längst keine unverdächtige Bastion der Humanität mehr – sie hat in den letzten Jahren aktiv dazu beigetragen, rassistische, migrationsfeindliche und autoritäre Positionen gesellschaftsfähig zu machen.
Beispiele gibt es viele:
- CDU-Politiker:innen sprechen von „kleinen Paschas“, „Sozialtourismus“ und fordern massenhafte Abschiebungen in Kriegsgebiete.
- SPD-Kanzler Olaf Scholz kündigt „Abschiebungen im großen Stil“ an – und der SPIEGEL macht es zur Titelstory.
- Die Ampelregierung verschärft das Asylrecht, führt Grenzkontrollen ein, beteiligt sich an der EU-Abschottungspolitik (GEAS) und kriminalisiert Seenotrettung – mit Zustimmung der „Mitte“.
Wer die Verantwortung für diese Entwicklungen ausschließlich bei der AfD sucht, verkennt die politische Realität. Es ist die sogenannte Mitte, die in vorauseilendem Gehorsam rechte Themen übernimmt, normalisiert und umsetzt. Damit bereitet sie den Nährboden für die weitere Radikalisierung der Gesellschaft.
Der gesellschaftliche Rechtsruck – Von der Krise zur autoritären Formierung
Die Krise des globalen Kapitalismus ab 2007 war nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine politische Zäsur. Die neoliberale Globalisierung geriet ins Stocken, der Glaube an ewiges Wachstum und gesellschaftliche Teilhabe zerbrach – und mit ihm das Vertrauen vieler Menschen in liberale Demokratien.
Die Antwort darauf war keine soziale Erneuerung, sondern autoritäre Zuspitzung:
- Soziale Sicherungssysteme wurden weiter ausgehöhlt, Arbeitsmärkte flexibilisiert, öffentlicher Wohnraum privatisiert.
- Gleichzeitig wurden Schuldige für die wachsende Unsicherheit konstruiert: Migrant:innen, Geflüchtete, arme Menschen, linke Aktivist:innen, queere und feministische Bewegungen.
- Medien und Politik schürten mit Begriffen wie „Flüchtlingskrise“, „Asyltourismus“ oder „Pull-Faktoren“ gezielt Angst und Abwehr.
Diese autoritäre Krisenbearbeitung verläuft nicht zufällig – sie ist im Kapitalismus selbst angelegt. Schon Marx erkannte, dass Krisen nicht Ausnahmen, sondern Strukturmerkmale des Kapitalismus sind. Die kapitalistische Gesellschaft erzeugt regelmäßig Verteilungskonflikte, Unsicherheit und Entfremdung.
Faschismus als Krisenlösung des Kapitals
Die Frankfurter Schule, insbesondere Theoretiker wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, haben diese Dynamiken tiefgehend analysiert. In ihrer Schrift Dialektik der Aufklärung zeigen sie, wie autoritäre Bewegungen in kapitalistischen Krisenzeiten entstehen: Nicht als Bruch mit der bürgerlichen Ordnung, sondern als deren konsequente Zuspitzung.
Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.
Faschismus ist keine Irritation des demokratischen Systems – er ist eine mögliche Reaktion des bürgerlichen Staates auf die Zuspitzung sozialer Widersprüche. Wenn das Kapital nicht mehr in der Lage ist, durch soziale Integration Stabilität zu sichern, wird auf Repression, Nationalismus und Rassismus zurückgegriffen.
AfD & „Gemeinsam für Deutschland“ – die radikale Fortsetzung
Die AfD fungiert in dieser Konstellation als radikale Stimme einer ohnehin reaktionär gewendeten Gesellschaft. Ihre rassistischen, völkischen und antifeministischen Inhalte sind keine Alternative zum Establishment, sondern dessen logische Fortsetzung.
Die von der AfD propagierte „Remigration“, die Dämonisierung queerer und feministischer Bewegungen, die rassistische Hetze gegen Geflüchtete und Migrant:innen sind die brutale Eskalation der politischen Sprache, die schon lange in der „Mitte“ vorformuliert wurde. Auch Bewegungen wie „Gemeinsam für Deutschland“ inszenieren sich als Vertreter einer „schweigenden Mehrheit“, während sie mit bekannten Neonazis, Reichsbürgern und identitären Netzwerken kooperieren.
Schlussfolgerung: Der Kampf gegen rechts beginnt links – mit Kapitalismuskritik
Wer den gesellschaftlichen Rechtsruck stoppen will, muss den Kapitalismus und seine Krisenlogik in den Mittelpunkt der Analyse rücken. Es reicht nicht die AfD zu skandalisieren oder sich oberflächlich zur „wehrhaften Demokratie“ zu bekennen.
Es braucht eine radikale, antifaschistische, feministische und antikapitalistische Gegenbewegung, die nicht nur rechte Inhalte zurückdrängt, sondern die sozialen Ursachen der autoritären Zuspitzung bekämpft:
- Armut, Entfremdung und Konkurrenz im Alltag
- Nationalismus, Rassismus und patriarchale Rückwärtsgewandtheit als Krisenlösungen
- Die Verwertungslogik, die Menschen zu Kostenfaktoren degradiert
Die politische Mitte ist kein Schutzraum – sie ist Teil des Problems. Der Antifaschismus der Zukunft muss antikapitalistisch sein.